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Wir sagten am Anfange vorliegender Entwickelung, daß unser Dichter zumal dadurch eine außerordentliche Bedeutung für unsere Zeit erhalte, daß er das von den Modernen vielfach vernachlässigte Ideale wieder in Erinnerung bringe. Die Art, wie in der Gegenwart der Idealismus oft ist bekämpft worden, muß wohl unterschieden werden von der Veranlassung zu solcher Polemik. Die Art war oft eine sehr untergeordnete, noch dazu unberufene, die Veranlassung war nicht selten eine begründete, und hatte ihren Grund in einer gewissen Einseitigkeit in der Auffassung des Ideals, in der Unklarheit über die eigentliche Natur desselben. Die Hauptirrthümer in der Theorie fallen als wirkliche Fehler oft erst recht in der Praxis des Lebens in das Auge.

Das völlige willkürliche Auseinanderreißen desjenigen, was man in der Schule Transscendenz und Immanenz genannt hat, sollte auf einem ganz andern Gebiete erst recht als Folge zum Vorschein kommen, und hier die fühlbarste Strafe nach sich ziehen, es sollte hier eine Dürftigkeit und Kurzlebigkeit der Eristenz erzeugen, welche auf den Beobachter einen wahrhaft kläglichen Eindruck machen. Noch dazu wollte man in dem neuesten Doktrinarismus die Immanenz ohne die Transscendenz festhalten, und ließ es sich gar nicht einfallen, daß die Philosophie als Wissenschaft nicht einmal mehr bei der bloßen Gegenseitigkeit des Transscendenten und Immanenten stehen bleiben dürfe, sondern in dem wahrhaften Wesen und Daseyn Gottes bereits diejenige Noth= wendigkeit erkannt habe, in welcher jene correlativen Gegensäge völlig überwunden, und dennoch in ihrem Rechte erhalten seyen. Auch war dieser Fortschritt der Wissenschaft nöthig, um endlich einmal über das Wesen der Ideen und den wahrhaften Idealismus ins Reine zu kommen, einen Idealismus, den gar nicht mehr weder der Vorwurf einer abstrakten Unwirklichkeit noch der einer utopischen Phantasterei treffen kann.

Sogar die Griechen, obschon ste doch in der großartigsten Weise noch auf der Natur beruhten, und aus dieser völligen Naturbestimmtheit in Dichtern und Denkern die genialsten Werke, weil sie nicht anders konnten, hervorbrachten, sogar die Griechen waren schon so vollständig über die Ideen aufgeklärt, daß sie den Ursprung derselben über die Natur hinaus versezten, aber auch ganz in dem Sinne lebten und handelten, daß die Ideen

fortwährend realerweise verwirklicht würden. Der Götterproceß zieht sich daher mit Nothwendigkeit bei den Griechen durch ihre ganze Bildung hindurch, so jedoch, daß er in dem griechischen Denken immer auf den vovs der Welt hindeutet, und die Skulptur der Griechen wie ihre Institutionen der Oeffentlichkeit beweisen es zur Genüge, daß die Griechen nicht etwa bloß in moderner Schwächlichkeit höchstens so ein wenig die Verwirklichung der Ideen für möglich hielten, sondern daß sie dieselben eben verwirklichten. Nun aber das Christenthum gar, wenn man nur gerecht seyn will, wenn man nur zu sehen vermag, sezt zur Ehre der Vernunft, nicht zur Verläugnung derselben, die Idee unmittelbar aus ihrem Ursprung heraus an das Licht der Welt. Und zwar will das Christenthum die Idee in allen einzelnen Richtungen von den Kommenden verwirklicht haben, wie es schon in jenem ersten Durchbruch mit der Idee keineswegs bloß sittlich, wie viele immer noch meinen, sondern total, das heißt wieder= schöpferisch (von Wiedergeburt) verfuhr, denn es handelt sich ja von vorn herein im Christenthum um nichts Geringeres als um die Wiedergeburt, also um die fortgesette Schöpfung der Welt, um die Schöpfung im Geiste und seine Verwirklichung, wobei denn das Christenthum eben so kindlich verfährt, wie die Griechen in allem naiv verfuhren, und eben damit die Ideen verwirklichten. Die höhere Kindlichkeit, als die erste des bloß physischen Daseyns, welche das Christenthum meint, wenn es sagt: werdet wie die Kinder, ist daher auch der entsprechende Fortschritt über die griechische Naivetät, und es sind deßhalb Naivetät und Kindlichkeit noch jezt die Grundzüge des ächten Genius. Das Christenthum spricht dem Individuum nicht bloß so im Allgemeinen eine unendliche Bedeutung, eine unendliche Freiheit zu, sondern, was sehr davon zu unterscheiden ist, es weist dem Individuum sogar eine unendliche Berechtigung zu, wenn auch nicht aus eigenem Rechte des Menschen, wohl aber aus dem Rechte und der Liebe Gottes. Da aber das Individuum in seiner dermaligen Erscheinung vorübergeht, so fällt die vollendete Erfüllung jener Berechtigung in eine ganz andere als die zeitliche Sphäre, wenn überhaupt das, was hier nur Complement in Betreff jener noch zu erfüllenden Berechtigung zu seyn scheint, nicht vielmehr erst recht Totalität ist. So daß auch in dieser

Hinsicht von jenem Complement gar nicht als von einer räumlich und zeitlich abgegrenzten Sphäre gesprochen werden darf. Die unendliche Berechtigung aber ist und bleibt dieselbe, wenn sie in der zeitlichen Eristenz auch erst eine theilweis erfüllte, in der überzeitlichen wie Viele in dem Wahne stehen - sogar eine prekäre genannt werden sollte. Die unendliche Berechtigung ist vielmehr für den Geist, das heißt: der Idee nach, an sich schon ewig erfüllt.

Wenn nun aber nach dem, was von den Griechen und dem Christenthum geleistet worden ist, nach jenen großen Katastrophen, wie die Deutschen sie in der Philosophie seit Kant und Fichte, in der classischen Literatur seit Schiller und Goethe durchgemacht haben, und zwar zu Gunsten der Ideen und ihrer Darstellung, zu Gunsten eines zu realisirenden Idealismus durchgemacht haben, nachdem für die Schule die absolute Gegenseitigkeit der Immanenz und Transscendenz, wie deren Ueberwindung in einem Höheren als beide, für die classische Literatur das vollendete Uebergehen der Idee in eine ihr angemessene Form durch die That außer Zweifel gesetzt worden; wenn nach all dem nun dennoch in neue= ster Zeit wieder ein solcher Rückfall gethan wurde, daß man eine Immanenz ohne die Transscendenz zu behaupten wagte, so war die weitere Folge davon die, daß man sich einseitig für ein Dies= seits erklärte, aus welchem der Ursprung der Ideen schlechter= dings nicht nachgewiesen werden konnte. Für die Kunst aber folgt aus jener Erklärung, wenn deren Inhalt den ganzen Menschen einnimmt, das Uebelste: es ist gar kein Kunstwerk mehr möglich. Denn das Kunstwerk faßt zwar ideell und reell das Jenseits und Diesseits zusammen, es ist die erscheinende Unendlichkeit, aber der Ursprung seiner Idee ist das Jenseits. Die Einseitigkeit des Diesseits läßt eine solche Erscheinung wie die des Kunstwerks gar nicht zu, weil nichts da ist, was erscheinen. könnte. Das Einzige, was übrig blieb, um nur einen scheinbaren Halt und Inhalt zu gewinnen, war die Natur. Nun drückt zwar die Natur die Idee aus, aber sie gelangt nie zum adäquaten Ausdruck derselben; denn was wäre wohl sonst die Kunst im Unterschiede von der Natur? Hegel selbst hatte schon auf die Natur als ein Außersichseyn der Idee hingewiesen. Auch war man in der neuesten Zeit viel zu schwächlich und dem

Ursprünglichen entfremdet worden, als daß man sich wieder hätte in jene großartige Naturbestimmtheit der Alten zurückversezen können, von der wir oben gesprochen haben. So gelangte man zu einer frivolen Halbheit von Natur und Reflerion, zu einer Halbheit, welche aus einem ganz unwahren Diesseits heraus den Idealismus als eine leere Jenseitigkeit verwarf, und mit den wenigen Ideen, welche man aus seiner eigenen schwachen Naturwüchsigkeit noch zusammenhaschte, überließ man sich auch in der Kunst ganz dem Dienste der Zeit. Die Schmeichelei des Zeitgeistes, die Vertheidigung desselben auch da, wo er sich allem Höheren als das bloß Zeitliche widerseßte, die Opposition gegen dieses Höhere selbst, war die Aufgabe, die man sich stellte. Kurz, die Tendenz mit ihrem ganzen Gefolge von Reflexion, von Meinung, von Flüchtigkeit, von rhetorischer Phrase, pomphafter Eleganz, von Eitelkeit, von Tageseffekt, ohne Glauben an die Idee, ohne Begeisterung für das Ideal, ohne die Ruhe, es in stiller Pflege auszutragen, war der Ungeist, welcher von jest ab in viele unserer jungen Producenten fuhr. So daß man hienach hinlänglich zu ermessen vermag, was die Vernachlässigung des Idealismus, ja die Frivolität, durch welche man desselben unwürdig geworden. war, der Literatur eines Volkes für Früchte bringt. Was aber die eben berührte Tendenz vieler Modernen betrifft, so ist hier wohl jenes herrliche Wort recht anwendbar, welches Schiller bereits im Jahre 1797 an Goethe schreibt: „Der Neuere schlägt sich mühselig und ängstlich mit Zufälligkeiten und Nebendingen herum, und über dem Bestreben der Wirklichkeit recht nahe zu kommen, beladet er sich mit dem Leeren und Unbedeutenden, und darüber läuft er Gefahr, die tiefliegende Wahrheit zu verlieren, worin eigentlich alles Poetische liegt. Er möchte gern einen wirklichen Fall vollkommen nachahmen, und bedenkt nicht, daß eine poetische Darstellung mit der Wirklichkeit eben darum, weil sie absolut wahr ist, niemals coincidiren kann.“

Wenn schon Schiller, im Jahre 97, so sprechen konnte, was sollen wir von dem Beginnen vieler heutigen TendenzDichter sagen?

Die Hingebung an einen ideendürftigen Realismus, der Unglaube an das Jenseits der Ideen, welche erst durch sorgsam gepflegte Lauterkeit, durch Begeisterung des Dichters, in das

Tiesseits und dadurch zu menschlicher Verwirklichung gelangen, haben das Leben der Modernen vielfach zu einem solchen gemacht, welches aller Weihe durch die Ideen entbehrt, welche die ganze Existenz des Schaffenden einnehmen und verklären sollen. Daß man sich heut zu Tage des wahrhaften Glaubens an die Muse entschlagen hat, dürfte ein nothwendiger Einfluß der Jahrhunderte und ihrer Culturen seyn; daß man aber auch so ausgenüchtert ist, um auch des begeisternden Gottes völlig zu entbehren, und dennoch zu dichten und zu denken unternimmt, wie Vorstand und Gelegenheit es eben wollen, ist sicher ein Beweis, daß in der Poesie ein großer Ideenbankerott bereits zum Ausbruch gekommen. Der poetische Atheismus befindet sich fast in einem noch grelleren Widerspruch als der philosophische. Der poetische Atheismus läugnet Gott und behauptet dennoch den Genius, für den er also keinen Ursprung hat. Dieß ist die contradictio in adjecto. Schiller, welcher jeden Hauch seines edeln und so kurzen Lebens dem Cultus der Ideale widmete, und ungeachtet seiner Krankheit im Schweiße des Angesichts an der ästhetischen Erzichung des Menschengeschlechts arbeitete, würde sich entsegen, wenn er sähe, wie sie heut zu Tage den Zeitgeist an die Stelle des Ideals gebracht haben, und wie man schon die natürliche Beschaffenheit eines normalen Verstandes, das Geschick, die Sprache ganz äußer= lich aufs Pathetische oder Pikante, aufs Erhabene oder Burleske mit Anspielungen auf die Tagesgeschichte zu stimmen, für die ausreichende ästhetische Erziehung hält. So daß sogar der Poet sich davon losspricht, der Idee zu dienen, geschweige, daß auch der Mensch in ihm die Weihe des Idealismus bekunden sollte. Mit Anspielung auf das bekannte Wort Goethe's müßte man daher von dieser modernen Art des Dichters sagen, sogar ohne Amor (und vollends ohne höhere Liebe), aber auch ohne die neun Musen wird der ganze poetische Haushalt bestritten.

Ein völlig antimoderner Dichter in Betreff unserer legten Erörterung ist nun eben Hölderlin. Er ist ganz und gar hingegeben an die Idee, er ist durch und durch erfüllt von ihr. Er ist aber auch weit davon entfernt, die Idee als sein eigenes Machwerk, als einen bloß subjektiven oder zeitgemäßen Einfall zu betrachten, eben so wenig wie er sie selbst schon als die Gottheit verehrt, als wenn die Idee der Ursprung ihrer und aller andern Jung, Hölderlin und seine Werke.

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