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Tode nämlich ist alles mit größerer Ruhe, zusehends mit einer lyrisch - epischen Freude gearbeitet, um das Ganze reich und organisch bis ins speciellste hin auszuführen. Aber es kommt die Nacht des Grames und der Zerrüttung, da niemand mehr wirken kann! Diotime stirbt, und dieser Tod im Roman, mit welchem freilich der Tod der seltensten Geliebten in der Wirklichkeit Hölderlins correspondirt, bringt den Helden wie den Dichter so aus der Fassung des Menschen und des Künstlers, daß dieser alles stehen und liegen läßt, und wir nun in der kleineren jener beiden Massen, nach dem Tode Diotimens, nur noch den Abhub der Ausführung, das wilde Durcheinander des Schmerzes und des Enthusiasmus, das Ungeordnete und Unausgeführte des ganzen Planes erblicken. Es ergreift uns in dieser Partie des Romans die schmerzlichste Wehmuth. Es ist uns jeßt der ganze Roman, wie er vor uns liegt, zwar ein herrliches Tonstück, aber ein solches, welches trog aller Auflösungen mit einer schneidenden Dissonanz des Gemüthes und des Verstandes zugleich endet. Es ist uns zu Muthe, wie wenn wir in das Zimmer eines Freundes treten, den wir in allen seinen Lebensverhältnissen, in all seinem reichen Befiz als den umsichtigsten, ord= nungsliebendsten kennen, und der nun, da ihn der bitterste, qualvollste Verlust getroffen, für nichts Einzelnes hienieden mehr Sinn, geschweige denn die Ruhe der handelnden Ausführung hat, und daher alles liegen läßt, wie es bereits liegt, um dafür in dem Umgang mit dem seligen Schatten zu phantasiren und in Schwermuth allmählig auch hinzusterben.

Aber diese Stockung und ein- für allemalige Unterbrechung unseres Romans wäre freilich noch die weniger bedauernswerthe Folge von dem Tode Diotimens. In Betreff Hölderlins wirkt dieser Tod vernichtender mit allem, was sonst noch dazu kommt; er raubt ihm für das irdische Bestehen den Geist. Dieser Geist Hölderlins geht mit unter als seine Sonne, als Diotime ihm finkt oder vielmehr er, selbst ein Sonnengestirn, sinkt ihr we= nigstens im Geiste nach. Und wenn man noch lange, lange in Deutschland sagen hörte, Hölderlin lebe noch, so war doch sein Geist eigentlich schon hinüber, und das, was wir von ihm noch sahen und hörten und selbst lasen, war meistens nur noch der matte mondkalte Refler seines früheren Geistes und all' seiner

Gluthen, wie wir ja auch nur den bloßen Refler der Sonne noch sehen, wenn uns dieselbe am Abendhimmel eben unterzusinken scheint, während die wirkliche Sonne doch schon hinunter ist. Oder wie man wohl gesagt hat, daß nicht der Ziegel welcher vom Dache fällt, den Menschen tödte, sondern Raum und Zeit, das Gesez des Falles; also waren es Raum und Zeit in einem höheren Sinne, es waren der Aether und das Licht, welche Hölderlin am Geiste tödteten, als Diotime starb, da er von jezt ab wieder den endlos und öd über ihn ausgespannten Raum und die unendliche Zeit überall vor Augen sah, eine leere, wenigstens ihm unerklärliche Unermeßlichkeit, welche er ohne Diotimen nicht zu ertragen wußte, so daß er darüber eben von Sinnen kam.

Mit diesem Akte seines eintretenden Wahnsinnes war nun, wiefern doch Hölderlin und Hyperion Eins find, auch das dritte Glied jenes wahlverwandtschaftlichen Verhältnisses zwischen Diotima, Hyperion und Alabanda hinüber — ungeachtet man immer noch wähnte Hölderlin lebe noch von dem wir früher gespro= chen haben. Aber die Todten kennen auch nicht die Möglichkeit der Eifersucht mehr! Die wunderbare Symphonie von all dem; der Jugendtraum im schönen Hellas; die entzückende Hoffnung es zu befreien, es noch einmal wieder heraufzubringen an den kurzen Tag der Erde, dieses einzige Hellas, mit all seinen Blüthen und Früchten der Kunst und der Wissenschaft, des Gesezes und des Cultus; die Seligkeit der Freundschaft und der Liebe, aber auch die Trennung im Diesseits für immer, aber auch der Tod, aber auch die Zerstörung des herrlichen Künstlers, dessen fragmentarische Composition nur durch den Wahnsinn ergänzt wird, dieß - ist der Roman: Hyperion.

V.

Hölderlins Briefwechsel, Jugendgedichte, Prosaisches.

Es ist eine eigene Sache um den Brief. Es ist der Brief unter allen Ausdrucksweisen der Schriftsprache gewiß die natürlichste, da er ja eben im Allgemeinen auf dem Rechte beruht: daß man sich geben darf wie man gerade ist, nicht bloß von Natur überhaupt ist, sondern auch für jede Situation, für jeden Moment, von Augenblick zu Augenblick, von Empfindung zu Empfindung, mit allem was man thut und leidet, was man erfuhr, was man sich aneignete und was man fürs Künftige noch bezweckt, mit allen Thatsachen der noch laufenden Geschichte und allen verborgensten Geheimnissen der Seele. Und dennoch, obwohl der Brief Ausdruck der Natur, Mittheilung mindestens doch dessen ist, was und wie etwas nach subjektiver Auffassung sich verhält, die Geschicklichkeit des Briefschreibens ist nicht jedermanns Sache. Es gibt schon lange, wie die Menschen sich geändert haben, nicht mehr eine bloße Natur, es gibt eine Kunst des Briefschreibens. Diese Kunst soll eben die volle, reine, offene Natürlichfeit verklärt wieder herstellen, und je mehr einer es versteht, trog aller Bildung und aller Verwickelungen des Lebens, uns auf die Natur seiner eigenthümlichsten Empfindungen und Einsichten und ihren Ausdruck wieder zurück zu sehen, ohne deßhalb auch nur das Geringste aus dem Schaze der erworbenen Erfahrung und Cultur zu verschleudern, sondern uns das alles mit der vollen Natürlichkeit, Ungenirtheit und Klarheit des Ausdrucks wiederzugeben vermag, desto vortrefflicher wird sein Brief seyn. Kurz, die vollste Wahrheit und Rücksichtslosigkeit selbst bei dichterischen

Zwecken, die Geschicklichkeit, das äußere oder innere Erlebniß mit aller Lebendigkeit des Erlebten im Fluge der Schnellmalerei, so zu sagen im Negligé der Ueberraschung der Harmlosigkeit zu überliefern, dieses ist die Kunst des Briefschreibens. Ungenirtheit ist daher das eigentliche Genie des Briefes, die Ungenirtheit, die sich über alles und jedes mit leichter Anmuth oder mit einfacher Biederkeit und Tiefe schriftlich zu verbreiten weiß, um uns das mündliche Gespräch vollauf zu ersehen, um den Umgang selbst in die Ferne hin im Stegreif fortzuspielen und zwar gegenseitig fortzuspielen. So daß jeder so gehaltene Brief auf den Empfänger wo möglich einen dermaßen angenehmen und zu= gleich nachhaltigen Reiz ausübt, daß er dem Antworten nicht zu widerstehen vermag.

Nun liegt es vielleicht in der den Deutschen angestammten gediegenen Natur, welche sie sich, ungeachtet ihrer starken Neigung, das Fremde nachzuahmen, immer noch erhalten haben, in ihrer ursprünglichen Eigenthümlichkeit des Individuellen, frei von aller conventionellen Ziererei, es liegt in der Tiefe des deutschen Ge= müths, in dem Bedürfniß, durch Geselligkeit auch gefördert zu werden, und nicht bloß Conversation zu schwagen, zu bloßer Unterhaltung zu üben; es liegt ferner in der Lyrik des deutschen Idealismus, in der lebhaft ideellen Begeisterung für die Familie, die Tugend, die Literatur und gegenwärtig auch den Staat und die Religion, daß es die Deutschen zu einem so unübersehlichen Schaße ausgezeichneter Briefe gebracht haben, welche mit jedem Lage durch die Preffe und die Schreibfeder sich noch vermehren. Denn es ist gar nicht daran zu zweifeln, daß auch gegenwärtig noch die interessantesten und geschicktesten Briefe in Deutschland geschrieben werden, wenn auch allerdings das achtzehnte Jahrhundert mit seinem großartigen Idealitäts - Cultus im Tempel der Freundschaft, mit seiner leidenschaftlichen Innigkeit, sich die schriftstellerische wie die religiöse Unsterblichkeit recht eigentlich zu verbriefen, mit seiner liebenswürdigen Naivetät, Geseztheit und puderhaften Sauberkeit, immer schon den Brief für eine Handlung anzusehen, viel mehr die Periode des Briefschreibens gewesen ist, als die jeßige Zeit es seyn kann.

Betrachten wir nun nach dem Vorausgeschickten den vorliegenden Briefwechsel Hölderlins, so müssen wir eingestehen, daß

wir in diesen Briefen vieles reichlich von dem wiederfinden, was wir so eben vom Briefe und insbesondere dem deutschen Briefe gesagt haben. Dennoch aber dürfen diese Briefe Hölderlins, und das erhöht nur ihren Werth, noch einen ganz eigenthümlich nüancirten, völlig selbstständigen Charakter für sich in Anspruch nehmen; dieser ist unseres Erachtens die höchste Solidität der Gesinnung wie des Ausdrucks, welche demjenigen am nächsten kommt, was wir oben als einfache Biederkeit bezeichnet haben. Man wird in den Briefen Hölderlins nirgend eine Phrase, nirgend eine Erpektoration bloßer Gefühlsweichheit, aufgepußter Eitelkeit und Gefallsucht finden, sondern überall ist Pietät und Redlichkeit der Grundton dieser aus der offensten und reichsten Natur fließenden Mitthei= lungen, gleichviel ob der Verfasser an seine Mutter schreibt oder an seine Schwester oder an den Bruder oder an einen ebenbürtigen, gleichaltrigen Freund oder an seinen so hochverehrten Schiller, den er als seinen stets bereitwilligen Rathgeber, väterlichen Beschüßer und Meister feiert. Daher sind diese Briefe denn auch eine so wichtige, höchst dankenswerthe Ergänzung zu den eigentlichen Werken und dem Leben Hölderlins. In welches reine, tiefe, bildungsbefliffene Gemüth lassen sie uns einblicken! Diese Gewissenhaftigkeit schon allein, welche aus jeder Zeile dieser Brieffendungen hervorleuchtet, macht es uns aufs Lebhafteste fühlbar, wie viel sie denen gewesen seyn müssen, welche sie einst empfingen. Diese Briefe konnten daher ohne wesentliche Lebensstörung und Veränderung für viele gar nicht ungeschrieben bleiben, und es ist dieses etwas, was man nicht allen vortrefflichen Briefen, die wir befizen, wird nachsagen können. Diese Briefe Hölderlins athmen Leben, Wirklichkeit, Lauterkeit des Willens, Freude des Erreichens, Bescheidenheit der Selbstbeurtheilung und dennoch Beruf für das Höchste, unter den abweichendsten Wech= seln der Geschicke, durch und durch. Sie erheben sich in dem, was im Durchschnitt die bleibende Stellung des Verfassers ausmacht, kaum über das Niveau des schlichten, bürgerlichen Elements, und dennoch, wie weiß derselbe Verfasser mit seinem edeln Naturell, mit seinem nach dem Höchsten begehrenden, das Au mit innigfter Wärme hegenden Geiste uns in der ausgesuchtesten Weise zu unterhalten, aber auch zu belehren und aus

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