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VI.

Hölderlins Leben, Gedichte aus der Beit des Irrfinns,

Anhang.

Die vorliegende Ausgabe der Werke Hölderlins, abgesehen davon daß sie sich mancher Vermehrung aus dem Nachlasse des Dichters erfreut, die von unendlichem Werthe ist, hat auch durch die vortreffliche Biographie Hölderlins von der Hand des Herausgebers einen äußerst anziehenden Zuwachs erhalten. Wie der Herausgeber uns das Leben des Dichters in einfach schöner Weise zur Darstellung bringt, so vermögen wir dadurch manchen Aufschluß, manches Verständniß der Werke selbst zu gewinnen, welche uns ohne jene Mittheilungen aus dem Leben unmöglich gewesen wären. Der Herausgeber besigt im hohen Grade die Kunst, in aller Einfachheit und Anspruchslosigkeit viel zu geben, nirgends sein Urtheil vorzudrängen, sondern überall das Objektive des Lebens, welches er darstellt, für sich selbst sprechen zu lassen, aber die Art wie er es thut, ist eben die Kunst, die auf der einen Seite das Faktische, Geschichtliche aus dem Leben des Dichters in den bestimmtesten Umrissen uns vor's Auge rückt, auf der andern Seite auch mit dem Urtheil, wo dieses nöthig ist, nirgends zurückhält und durch diese schöne Wechselwirkung von Gegenstand und Beleuchtung, von Faktum und zartester Kritik uns aufs Lebhafteste in das zu schildernde Leben hineinverseht. Auf diese Weise wird es dem Verfasser denn auch möglich dasjenige zu leisten, was unseres Erachtens eine der schwierigsten Aufgaben der Lebensbeschreibung von der Hand eines Andern ist, nämlich so zu erzählen, daß uns das eigentlich

Interessante einer Selbstbiographie, so weit dieses ausführbar ist, durch den Erzähler erseht wird und doch zugleich so, daß dasjenige nun auch hinlänglich hervortritt, was bei der Selbstbiographie sehr natürlich vermißt werden muß, die Darlegung, ob das durchgeführte Leben im Gewichte und seinem baaren Werthe nach steigt oder fällt, wenn der es abwägt, wel= cher außerhalb steht. Es braucht nun kaum gesagt zu werden, daß wie wir Hölderlin kennen, vollends unter der Behandlung eines solchen Biographen das Leben des Dichters immer höher in seinem Werthe steigt, je mehr wir darin lesen; so daß uns diese Lebensskizze auch immer aufs Neue anregt, in die Werke des Dahingegangenen uns zu vertiefen. Dieselbe Vorsicht und geschickte Weise des Verfahrens, welche der Herausgeber in der Schlichtung der oft sehr in einander laufenden Lebensfäden Hölderlins überhaupt beweist, gibt er am meisten da zu erkennen, wo die Lösung solcher Aufgabe auch am schwierigsten wird, wo nämlich die ersten Verwirrungen durch Geisteskrankheit sich in dem Unglücklichen zeigen. Aber auch selbst da, wo uns der Biograph in die schauerliche Einsamkeit des Gemüthskranken hineinführt, da, wo wir ihn während eines Menschenalters und drüber in diesem Zustande sehen und wieder sehen, auch da fühlen wir uns an der Hand unseres Führers, wie an der eines zarten, ficher und tief blickenden Seelenarztes, der uns den edeln Leidenden in dem Grade als er ihn selbst liebt, mit Geist, mit reinster Hingebung und Scharfblick zu enträthseln weiß. Bei so großen Vorzügen der Biographie bleibt uns denn nur noch das Geringe übrig, hie und da Einzelnes hervorzuheben, was uns während der Lektüre jener Lebensbeschreibung ganz besonders einer näheren Erwähnung werth schien, um unsere Charakteristik Hölderlins und seiner Werke zu vervollständigen.

Von der herrlichsten irdischen Mutter aufs sorgfältigste erzogen und gewiß zumal in der Reinheit seines Seelenlebens aufs gewissenhafteste behütet sehen wir Hölderlin schon früh auch mit den Geistern des Jenseits verkehren, die er als seine ewigen Erzeuger feiert, die ihm alltäglich und allnächtlich erscheinen, denen er Zeit seines Lebens, durch keine Revolutionspolitik der damaligen so stürmischen Periode abwendig gemacht, mit innerster Seele zugethan ist; er geht ganz so harmlos und Jung, Hölderlin und seine Werke.

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still mit ihnen um, wie man wohl in Märchen von bevorzugten Kindern erzählt, daß sie im Verkehre mit höheren Mächten schon früh gesehen worden seyen. Es ist in Hölderlins Leben in der Regel die einfachste Wirklichkeit, welche durch die Art, wie er fie faßt und handhabt, eine idealische, poetische Wirkung auch auf uns ausübt. So auch da wo er im Umgange mit der Natur schon in erster Jugendzeit seinen Hauptgöttern, der Mutter, dem Lichte und dem Vater Aether sich zuwendet, diesen zu Ehren sein Lebelang den eigenthümlichsten Sonnen- und Aether-Dienst fortführt, indem er ihn als Dichter und Philosoph zu einem freien Zweigöttersysteme verarbeitet. Früh schon locken ihn Licht und Aether nach oben, so daß er uns wie Ganymed in dieser zarten Jugendlichkeit, draußen unter dem Blaue des allleuchtenden Himmels erscheint und mit Gedanken aus Hellas hinaufeilt, so wie er selbst uns diese Sympathie für das Ueberirdische, diesen starken Zug über alles Individuell-Menschliche hinaus in einem Gedicht schon für die erste Jugendzeit reflektirt, indem er höchst bedeutend von dieser Periode sagt: „Ich verstand die Stille des Aethers, der Menschen Worte verstand ich nie. — Im Arme der Götter wuchs ich groß." - Es gibt also wohl auch schon hienieden für den Menschen eine Unsterblichkeit, wenigstens eine Art ihrer inne zu werden, die sich von alle dem unterscheidet, was Schulen und Religionsgesellschaften darüber herausbringen, ein Schauen, das weiter als manche wähnen, hinausdringt in das Wesen der wahren Unendlichkeit, und es als eine ganz und gar andere Existenz erkennt als die ist, welche man gewöhnlich analog der hiesigen als die rechte Ewigkeit zusammenphantafirt, während die wahrhaft ewige Eristenz, von der die Meisten jezt noch gar keine Ahnung haben, vielleicht ein Drittes noch außer den beiden Zuständen ist, die man jezt Leben oder Tod nennt und die man so schnell als die beiden alleinigen Möglichkeiten nimmt; ein Drittes, welches also weder Leben noch Tod im Sinne heutiger Sprachweise und doch Eristenz und zwar erst die wahre Existenz ist.

Wir können es uns wohl deutlich machen, wie eine solche Individualität wie die Hölderlins mit solcher Begabung, mit solchen Geistesbedürfnissen; wie ein Mensch, der solche Lebensstadien durchwandert; wie ein Knabe, erfüllt von kindlichem

Gehorsam und ächter Frömmigkeit in einem Seminar erzogen, welches einen fast katholischen Hintergrund hat, und doch voll von ächtem Protestantismus ist; wie ein Jüngling, so für Freundschaft und Liebe empfänglich, so an die Dichtkunst, an das Leben. mit den Griechen gebunden als wäre es das Athmen seiner Lunge, so von Klopstocks Einfluß gefaßt, besonders von dessen Ode und Gelehrtenrepublik, so für Musik in einem Grade empfänglich und für ste Resonanz wie es nur je ein Mensch gewesen, endlich noch gar von den Sternen Schillerscher Ideale geführt und sogar in die Nähe und die Freundschaft dieses herrlichen Schiller gerückt, und doch nur auf kurze Zeit; ein Jüngling aber auch, zur Schwermuth geneigt und immer wieder von Hellas gelockt, von der Wirklichkeit schöner Gestalten, von dem reinen Aether und dem reinen Lichte, und doch dazu verurtheilt, deutsche Barbarei zu empfinden, deutsche Nebel zu athmen und doch auch wieder von deutscher Trefflichkeit, was Land und Volk betrifft, und gar nun von deutscher Weibesgestalt, in aller Reinheit und Vollendung hellenischer Frauenschönheit, entzückt zu werden als sollte Deutschland nicht bloß in Uebersezungen und Dichtwerken, sondern sogar in lebendigen Menschen Griechenlands klassische Leistungen wiedergeben; wir können es uns wohl deutlich machen, wie ein solcher Mensch zulezt dabei anlangt, den Verstand zu verlieren.

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Wenn wir in dieses Unglücklichen Leben lesen, wie er in Tübingen bei dem blinden Flötenspieler Dülon" in der Musik so außerordentliche Fortschritte macht, daß der Lehrer selbst ihn bald als seinen Meister anerkennt, so liegt in dieser Schnelligkeit der Aneignung von Seiten Hölderlins etwas Schauerlich-Ergrei= fendes, als hätte ein guter Dämon ihn getrieben, nur so schnell wie möglich jene Fertigkeit in der Musik sich anzueignen, da die Musik ihn einst, im Zustande wahnsinniger Versunkenheit, fast allein noch wieder zum Menschen, ja zum Gotte machen, nämlich ihn zum Aether und Lichte seines Ursprungs hinaufheben sollte. So daß er nun der blinde Musiker selbst geworden war, den er einst als blinden Sänger besungen hatte, aber er war freilich der geistesblinde geworden, als wäre Dülon nur sein neckender Doppelgänger der Zukunft und zwar dem Leibe nach gewesen; und so spielte und sang jezt der unglückliche

Dichter, in der Verbannung aus der menschlichen Gesellschaft, erilirt aus dem Lande der Vernunft, zum Bergbaue verurtheilt colossaler Mißgeburten der Phantaste, abgesperrt in dem langen, eistgen Polarwinter, dessen Sonne des Bewußtsyns kaum mehr aufging; er spielte und sang jezt, wie ja auch die zum Bergbau ins astatische Rußland verwiesenen Unglücklichen in der langen Einsamkeit ihrer öden, freudlosen Eristenz viel singen und Instrumentalmusik treiben, um doch einige Geister des Himmels noch zu sich zu beschwören. Vielleicht hatte Hölderlin, selbst spät im Alter noch, droben auf seinem Dichtersanssouci des Dachstübchens, bei seinem guten Tischlermeister, immer noch, wenn ihm eine Saite während des Tonspiels zersprang, die Empfindung, als wäre eben Diotima gestorben, und als wäre ihm auch zugleich etwas im Gehirne gesprungen, da ja nach dem Aberglauben, wenn ferne Geliebte sterben, in unserer Nähe etwas plazen oder springen soll. Auch daß das Lesen im Homer seinen Wahnsinn in etwas beschwichtigen konnte, spricht eben so wohl für die geistige Wirkung der Musik auf die Gemüthskrankheit, wenn man an den Wohllaut des Homerischen Verses denkt, als es überhaupt aufs Neue für dasjenige Zeugniß ablegt, was wir früher von dem Verhältniß Hölderlins zu Homer erörtert haben.

Wirkt das Bild des greifen Hölderlin, im Zustande des Wahnsinns, fast zerreißend auf unser Herz, als daß wir es lange bloß für sich betrachten könnten, so tritt schon gleich eine Bes ruhigung für uns ein, wenn wir auch nur den entferntesten Refler des Menschlichen, seiner früheren, herrlichen Natur in ihm gewahren. So ist denn auch der Zug von Dankbarkeit unendlich rührend, den Hölderlin, nach der Biographie, auch noch in der Geisteskrankheit stets blicken ließ. Wenn wir die Verse des unglücklichen Dichters aus diesem Zustande lesen:

„Das Angenehme dieser Welt hab' ich genossen,

Die Jugendstunden sind, wie lang! wie lang! verfloffen,
April und Mai und Junius find ferne,

Ich bin nichts mehr; ich lebe nicht mehr gerne,"

so bilden diese Verse für uns eine kahle, wehmuthsvolle Heide, auf der wir den Unglücklichen wirr und verstörten Blickes wie den König Lear der Poesie, den die nur zu verständigen, verschmigten Menschen um das Königreich der Poeste gebracht haben,

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