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I.

Allgemeine Charakteristik.

Wenn wir von Hölderlin, indem wir seine Stellung, seinen ursprünglichen Ausgangspunkt nachwiesen, sagen mußten, er habe das Land, in dem er geboren worden, nie als seine eigentliche Heimath erkannt, so muß dieses nicht in ausschließlichem Sinne genommen werden. Es verträgt sich jenes starke Pathos der Abgestoßenheit in einer so durchaus griechisch und dennoch ächt germanisch angelegten Natur, wie der feinigen, sehr wohl mit der tiefsten Vaterlandsliebe, die Hölderlin in einem andern Bezuge auch wirklich zu Deutschland empfand. Er liebte sein Volk in dem Grade stark, als er von Natur die kindlichste Pietät besaß, als er die damaligen Deutschen vielfach anders wünschte; er haßte und verurtheilte gewisse Seiten an seinen Landesgenossen in dem Grade, als er wußte, welche Anlagen diesem Volke eigen sehen, wie selbst der Sinn für das Griechenthum ihm aufgeschlossener wäre als irgend einem andern. Aber den bloßen Nüzlichkeitskrämer, den Sklaven des Nothdürftigsten, den einseitigen Fachmenschen, kurz den Philister haßte er in dem Deutschen, und man muß sagen, in dieser Beziehung war sein Haß nicht ungerecht, wenn auch krankhaft, und die bekannte Polemik, welche | Hölderlin dem Hyperion gegen die Deutschen in den Mund legt (Hölderlins Werke, herausgegeben von Chr. Th. Schwab, Stuttgart und Tübingen, J. G. Cotta'scher Verlag, 1846, 1. Band S. 142 u. f.) trifft mit der ganzen Schärfe des Schwertes wirkliche Gebrechen, welche der Maffe bei uns vielleicht stärker anhaften als irgendwo sonst, obschon jezt wohl nicht mehr in dem

Umfange wie früher. Woher doch käme anders die so oft gehörte Klage vieler unserer Genien, oder, wenn sie selbst für sich längst verzichtet hatten, doch derer, welche den Genius zu schäßen wußten, die Klage, daß die ausgezeichnetsten Geister von der Mehrzahl völlig unvernommen bleiben? woher der so oft gemachte Vorwurf, wir Deutsche hätten gar keine Nationalliteratur, wie andere Völker ste besäßen, ja, wir wären eigentlich gar keine Nation (wenn auch in all diesen Aussagen viel Uebertriebenes lag), als daher, daß wirklich der deutsche Philister unaustilg= barer ist als irgendwo sonst, indem er entweder nur für das Allerhausbackenste Sinn hat, oder doch nicht bis zu der Einsicht sich zu erheben weiß, daß keine geistige Errungenschaft Privatbesig, schöngeistiger Dilettantismus bleiben dürfe, sondern dem Allgemeinen gehört, und darum auch in die öffentlichen Institutionen eines Volkes übergehen müsse. So daß es sehr wohl seyn könnte, daß Hölderlin, dessen große Seele, ungeachtet ste feiner Zeit diente, immer die vollendete Blüthe der Schönheit in die reife Frucht politischer Freiheit gezeitigt haben wollte, was die lezte betrifft, mit den heutigen Deutschen völlig ausgeföhnt seyn würde, wenigstens ausgesöhnter, als er es mit den früheren zu seyn vermochte. Und konnte nicht Hölderlin selbst, wenn er auch von sich absah, és täglich schon erleben, wie man das zu würdigen wußte, was diejenigen damals hervorbrachten, welche unsern unvergänglichen Ruhm und unser classisches Zeitalter hervorrufen sollten? Die Stumpfheit der Menge wetteiferte schon damals mit der Stumpfheit des Recensententhums, das Meisterwerk für eine Verfehltheit auszugeben, und dafür an der Halbheit sich schadlos zu halten, mit der fadesten Mittelmäßigkeit sich gütlich zu thun.

Aber sehen wir vor Allem zu, wie diese äußersten Gegensäge von irdischer Heimath und Fremde, von Menschlichkeit und Varbarei, von Liebe und Haß schon durch den geistigen Ursprung Hölderlins bedingt werden, wo sie indessen noch in voller Eintracht mit einander harmoniren, während die Gegensäge im Fortgange seiner Bildung und seiner Schöpfungen immer schroffer sich spannen, indem aus ihrer Reibung Werke hervorgehen, die oft ganz nahe der künstlerischen Vollendung kommen, ohne sie völlig zu erreichen, und wie das Lezte durch einen Mangel in

Hölderlin bewirkt wird, der ihn wieder auf die Grenze zwischen Griechenland und Deutschland stellt, so daß er eben an dem Conflikt zwischen dem Antiken und Modernen zu Grunde geht.

Der geistigen Abstammung nach ist Hölderlin vollendet antik. Er ist ein Sohn des Aethers und des Lichtes, so aber, daß er als Dichter-Heros ganz den neuen Göttern Griechenlands und ihrer Klarheit angehört, welche abgeschlossene, fertige Gestalten sind, welche den ewig heitern Olymp bewohnen, und die alte Nacht, das verzehrende, nach schönen Gestalten zwar ringende, aber fte auch schon wieder zerstörende Element des unheilvollen Kronos bereits überwunden haben. Aether und Licht sind die Urgegensäge in Hölderlin (wenigstens in der Theorie seiner Weltanschauung, denn was wäre der Aether ohne das Licht als die Nacht? Auch sind ja Aether und Tag die Kinder des Erebos und der Nacht), die durch alle seine Werke hindurchgehen, die sich in dem kleinsten seiner Gedichte, wie in der ausgeführtesten Produktion, ja in jedem Momente seines Lebens, selbst in seinem Irrsinn noch abspiegeln. Wie er aus Aether und Licht gewor= den, wie überhaupt aus diesen eine Welt, und noch dazu eine Welt schöner Gestalten hat werden können, er weiß es nicht, es ist ihm zunächst ein Mysterium, denn es wäre ja wohl möglich, daß es ihm zu Zeiten höchster Begeisterung aufgegangen wäre, in jenen Eleusinien, welche die Griechen keineswegs bloß gedichtet haben, und die einer Natur, wie der Hölderlins, stets Be= dürfniß seyn mußten. Aber wie er sein und der Welt Daseyn zunächst als Geheimniß hat, welches sich jedoch fortwährend ent= hüllt, so feiert er dieses nun auch in Alkem, was er lebt und schafft, und es wird ihm Alles und Jedes zu einem Cultus, seinen Göttern, seinen Erzeugern, dem Aether und dem Lichte dargebracht, denen er stets in Ehrfurcht zugethan ist, ja mit denen er sich, obwohl ein Individuum neben andern Individuen, Eins weiß.

Aber wie weiß er sich mit ihnen Eins, und wird er sich in dieser Einheit auf die Länge auch erhalten können ?

Daß der Dichter, und noch dazu ein so vorwiegend antiker Dichter, wie Hölderlin, die Welt sich ins Unendliche individua= listren sieht, daß Gestalten auf Gestalten aus dem Urelemente des Aethers und des Lichtes auftauchen, kann ihn ursprünglich

noch in keiner Weise beunruhigen. Im Gegentheil, er labt sich daran, es ist diese Anschauung der Welt die höchste Befriedigung seines Schönheitssinnes. Denn wie jene Gestalten aus dem Element hervorgehen, so sind sie auch dessen eignes Abbild, sie baden sich in ihm, ste spiegeln sich in seiner Schönheit, ste find selbst nur fortgesezte Anadyomenen desselben. Dieß ist die poetische Allgenugsamkeit, die keiner weiteren Genugthuung bedarf, die keine Probleme kennt, viel weniger deren Lösung erheischt, denn jedes Wesen ist der poetischen Anschauung schon eine harmonische Welt für sich, und wenn der Dichter die Einzelnen zu einander bringt, so gesellt er ste zwar, wie es ihm beliebt, wie es das Spiel seiner Phantaste verlangt, die aber als poetische immer wieder das Rechte, das Harmonische zu treffen weiß. Doch wie ganz anders verhält es sich mit derselben Welt der Beziehungen, wenn es sich nicht mehr um die bloße Anschauung und Nothwendigkeit, sondern wenn es sich auch um die Einsicht und die Freiheit handelt!

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Ungeachtet Hölderlin vorherrschend stets Grieche geblieben, so mußte er doch den Tribut seiner germanischen Natur und dem Christenthum zollen, daß er an dem Mißbrauch der Freiheit, an der Realisirung des Nichtseynsollenden Anstoß nahm, daß er darüber Aufschluß haben wollte; wie er ja auch zu der Entdeckung gelangt, daß die Unendlichkeit draußen nicht wie die in der Anschauung des Dichters als ewiges Universum eristirt, sondern in zahllose Erscheinungen auseinanderflicht, die, wenn sie sich suchen, sich finden, in Kampf mit einander treten, sich an einander aufreiben, so daß hier durch die Vergänglichkeit erst sich alles wieder erhält, und sich die Gegenwart immer nur in Mitte von Vergangenheit und Zukunft behauptet, Leben und Tod sich verfolgen, wie ja auch Hellas in der Wirklichkeit nicht mehr vorhanden ist. Hier tritt selbst in dem griechischen Hölderlin an die Stelle der poetischen Allgenugsamkeit die deutschphilosophische Bedürftigkeit, die sich aber in ihm wieder ächt griechisch zu helfen weiß, denn Hölderlin, der Philosoph, ist griechischer Pantheist, wenn sich auch, wie wir sehen werden, dieser Pantheismus in Hölderlins Individualität ganz eigenthümlich gestaltet. Hölderlin also wird, um auch zu einer philosophischen Allgenugsamkeit zu gelangen, und wäre es auch nur

auf den Versuch hin, ob sie erreichbar sey, Pantheist. Denn der Pantheismus ist die entsprechende Gestalt der Philosophie zu dem physischen und poetischen Urelemente des Aethers und des Lichtes, die alles verklären und durchleuchten, die impalpabel, absolut durchdringlich sind, die jede Sprödigkeit des Einzelnen ein für allemal aufzehren, kurz der Pantheismus ist dem Philosophen auf dem angegebenen Standpunkt einzig das Allumfassende, Alleinigende, wenn auch wenigstens bei Hölderlin zugleich

Das tulerunter dyeibenbe, ἐν διαφέρον ἑαυτῷ.

Bis zu dieser Höhe erhebt sich in Hölderlin der Dichter und Philosoph. Jener weiß uns Griechenland wieder zurückzurufen, als lebte es noch, er ahmt die griechische Natur nicht etwa nach, er beschreibt sie uns nicht, er gibt sich nur selbst und seine Freude an der Welt, und er gibt uns die griechische Natur, und gibt uns lauter fertige, schöne Gestalten. Dieser dagegen, der Philosoph, will auch über die Einsicht, über den Schmerz sich erheben, daß das alles nicht mehr so ist; er will uns über die Kluft der Jahrhunderte hinwegtragen, und glaubt solches zu vermögen, indem er in dem Einen das All, und in Allem das Eine steht. Aber er selbst straft diesen seinen Glauben Lügen, denn sein Pantheismus läßt ihn im Stich, und der Dichter, der eben noch ein heiterer Grieche und durch Philosophie ein weiser Pantheist war, er klagt jezt auch schon, daß das schöne Hellas gestorben seh, daß Barbaren an die Stelle der reinen Menschen gekommen, daß Barbaren ihn selbst in seinem Vaterlande umgeben. Er klagt nicht bloß wie die Griechen vorübergehend und doch so natürlich klagten, wenn der physische Schmerz sie maßlos erfaßte, wenn sie der freudlosen Eristenz der Schatten gedachten; Hölderlin flagt bleibend, daß Griechenland vom Tode dahingerafft worden, er klagt, daß es für immer zu den Schatten hinuntergestiegen sey. Wir sehen also, der Pantheismus reicht ihm nicht aus, und daß er ihm nicht ausreicht, beweist in Hölderlin die Tiefe der germanischen Natur, aber beweist auch, daß Hölderlin das Leyte des griechischen Kunstwerks, wie der griechischen Lebenskunst, wodurch die Griechen den Mangel des Heidenthums, wenn auch nicht tilgten, doch erseßten, nicht zu erreichen vermochte. Dieses Lezte, welches ihm fehlt und allein fehlt, und wodurch er, wenn er es gehabt, die Herbigkeit des Lebens, die Vergäng

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